Der Weg zum Bild 1: Locationscouting

Moin!

Bevor Fotos ihren weg in soziale Medien, auf Websites oder im besten Falle an jemandes Wand finden, haben sie schon einen langen weg hinter sich. Wie dieser Weg bei mir aussieht, möchte ich in einer kleinen Artikelreihe beleuchten.
Damit ein Foto entstehen kann, benötige ich neben einer Kamera vor allem ein Motiv. Natürlich kann ich mir einfach die Kamera schnappen, mich aufs Fahrrad oder ins Auto schwingen und einfach in die Landschaft fahren. So etwa sah es zu meinen fotografischen Anfängen aus. An diesem Ansatz ist grade in der Experimentierphase beim Einstieg in die Fotografie auch absolut nichts auszusetzen. Ganz im Gegenteil, er ist sogar sehr gut und hilfreich! Aber: Ich darf mich nicht der Illusion hingeben DAS Foto zu schießen während ich recht planlos und unbedarft im grellen Mittagslicht umherirre. Alles, was ich hierbei fotografiere, sind in den seltensten Fällen mehr als Schnappschüsse. Ich betrachte solche Ausflüge deshalb heute nicht mehr als Fototour und nutze sie nicht zum gezielten Fotografieren. Vielmehr nenne ich es Locationscouting.


Für das Locationscouting suche ich mir gezielt Orte, an denen ich mögliche Motive oder konkrete Kompositionen vermute. Dies können je nach Lust und Laune Waldstücke, Küstenabschnitte, Seen und ähnliches sein. Wie meine Suche nach „scoutbaren“ Locations aussieht, möchte ich in einem anderen Artikel anreißen. Mir geht es beim Locationscouting darum ein Gefühl für eine bestimmte Gegend zu entwickeln, ihren Charakter in Erfahrung zu bringen und nach möglichen Motiven Ausschau zu halten. Es ist jedoch gar nicht so leicht. Mögliche Motive zu entdecken bedarf zweierlei Dinge: Erfahrung und viel Fantasie. Wenn ich tagsüber spazieren gehe und wolkenloses blau mit hartem Sonnenlicht oder eine durchgehende graue Wolkendecke am Himmel dominieren kommt die entsprechende Lichtsituation den wenigsten Motiven zugute – selbstverständlich gibt es auch Ausnahmen aber die bestätigen wie so oft die Regel. Das heißt jedoch, dass die Motivsuche bei mir ein Prozess in zwei Schritten ist. Im ersten Schritt erkenne ich etwa ein fotogenes Ensemble von Bäumen oder ein Bächlein, das sich in verspielten Schleifen durch ein schönes Tal schlängelt, und mache ein erstes Foto und teste eventuell schon eine oder mehrere Kompositionsideen. Oftmals greife ich hierbei, wenn die benötigte Brennweite eine „richtige Kamera“ nicht zwingend erforderlich macht, einfach zum Smartphone. Nehme ich meine Canon zur Hand verzichte ich in aller Regel auf ein Stativ, drehe stattdessen, wenn nötig, die Empfindlichkeit hoch oder arbeite eher schlecht als recht mit längeren Belichtungszeiten aus der freien Hand. Die so entstandenen meist mängelbehafteten Bilder sind unbedingt als nicht repräsentativ für meine Arbeit zu betrachten. Normalerweise behalte ich solche Bilder ausschließlich für mich. Im Rahmen dieses Artikels bekommt ihr solche Fotos jedoch zu sehen.
Im zweiten Schritt – das ist der schwierigere Part – überlege ich mir welche Lichtstimmung und -richtung, welcher Himmel und welche Jahreszeit am besten zu dem Motiv passen könnte. Entweder genügt mir dann eine mentale Notiz oder ich speichere meine GPS-Koordinaten direkt vor Ort bereits in Smartphone Apps wie The Photographers Ephemeris, Photopills und Co und kann mit denen direkt checken, ob die gewünschten Bedingungen überhaupt im Rahmen des Möglichen liegen.
Inzwischen verfüge ich über eine gewisse Erfahrung was Location- und Motivsuche angeht und habe Vorlieben für Morgenstimmungen mit Nebel. Darum ist der Prozess bei mir häufig teils umgekehrt: Ich habe mir die Örtlichkeiten häufig schon auf Google-Maps und Open Street Map angesehen und kenne den Landschaftstyp ungefähr. Dementsprechend fahre ich häufig mit Vorwissen an bestimmte Orte, um dort gezielt nach Motiven zu schauen, die zum Beispiel von Nebel profitieren und an denen die Bedingungen für Nebel gut sind. Um euch darüber klar zu werden, nach was ihr sucht und welche Stimmungen ihr gern fotografieren wollt hilft es auch immer sich die Fotos anderer Fotografen anzuschauen. Ganz besonders als ich vor knapp 10 Jahren am Anfang meiner Fotografie stand habe ich Stunden um Stunden damit verbracht seinerzeit Flickr und 500px auf der Suche nach Inspiration zu durchforsten. Das gibt euch eine klarere Vorstellung von dem, was ihr wollt und hilft zudem noch dabei sein Wissen und Gefühl für Licht und Kompositionen zu verbessern.

Um zu veranschaulichen, wie das Locationscouting bei mir aussieht und welche Gedanken ich mir dabei mache, nehme ich euch am besten zu meinem gestrigen kleinen Ausflug mit. Ich habe mich für ein kleines Waldstück mit angrenzendem kleinem Gewässer entschieden. Gesucht und gefunden habe ich das mir bislang unbekannte Gebiet über die Satellitenbilder von Google-Maps. Ich habe bereits vorher geprüft, ob das Gebiet eher für morgens oder abends interessant ist. Dazu verwende ich üblicherweise The Photographers Ephemeris, das kostenpflichtig als Smartphone-App oder kostenlos im Internetbrowser verwendet werden kann. Das sieht für den heutigen Montag in etwa so aus:

Screenshot der Webversion von https://app.photoephemeris.com/

Ganz kurz zusammen gefasst sagt mir dieses Bild, wann in welcher Richtung Sonnenauf- und untergang ist, also aus welcher Richtung das Licht kommt. Da ich gern mit Gegenlicht arbeite und generell eher nach Motiven und Orten für den Sonnenaufgang suche entspricht dieser Ort in etwa meinen wünschen. Nun geht es daran den Ort näher zu erkunden.
Den Wald, den man auf dem Satellitenbild oben sieht, habe ich aus Norden kommend betreten und auf einem der Forstwege Richtung Gewässer durchquert. Auf den ersten Blick ein recht typischer Wald für die Gegend: Viele Buchen, ein paar Eichen, ein bisschen aufgeforsteter Nadelwald. Leider zudem recht intensiv forstwirtschaftlich genutzt. Aber eine Besonderheit fiel mir bereits am Waldrand auf: Überall im Wald finden sich kleine wassergefüllte Senken, sumpfige Abschnitte und sogar eine Ecke Dauer-vernässter Bruchwald – und das, obwohl es seit Wochen viel zu trocken ist. Das heißt für mich: Hier steht wahrscheinlich immer Wasser, die Gegend ist sehr feucht und das Wasser scheint kaum abzufließen oder zu versickern. Insgesamt also eine gute Ecke für Dunst und Nebel.

Eine der vielen vernässten Senken des Waldstücks.

Die vernässten Senken sind geprägt von Moosen, Farnen und Sumpfschwertlilien, die zusammen mit dem saftigen frischen Buchengrün im Mai und Juni mannigfaltige Grünschattierungen bieten. Diese Motive funktionieren sowohl zum Morgen als auch zum Abend zur goldenen Stunde, wenn das Licht durch die Bäume fällt, bei Morgennebel und an verregneten Tagen. Bei Nässe kommen die Grüntöne ganz besonders schön zur Geltung. Entfernt man die nässebedigten Lichtreflexe mit einem Polfilter kann man die Farben noch weiter intensivieren. Grade bei leichtem Regen oder Nebel entfalten diese Motive ein fast mythisches Potenzial und wirkten sehr ursprünglich und sehen nach wilder unberührter Natur aus, obwohl diese Senken oft nur wenige Meter neben den Forstwegen liegen. Besondere Notiz: Ein Highlight für diese Motive sind die gelb blühenden Sumpfschwerlilien, die man ab Ende Mai bis Ende Juli finden kann.

Bruchwald.

Für den Bruchwaldabschnitt des Waldes gilt ebenso alles zuvor Gesagte. Bei diesem Foto möchte ich jedoch eine weitere Notiz vermerken: Das Bild gefällt mir so tatsächlich schon sehr gut. Jedoch wirkt der Hintergrund mit den eintönigen Bäumen ziemlich chaotisch und ablenkend. Daher würde ich mich für eine größere Blende entscheiden, um den hier fokussierten Baum weiter vom Hintergrund abzuheben.

Testfoto einer möglichen Komposition.

Wie hier zu sehen versuche ich bereits konkrete Kompositionen zu finden. Hier verwende ich die moosbewachsenen Bäume und das Totholz als Rahmen. Speziell für dieses Motiv schwebt mir jedoch eine düsterere und kühlere Stimmung vor, wie man sie etwa an einem dunstigen Herbstmorgen oder bei leichtem Sprühregen oder zur blauen Stunde erzielen könnte.

Die Schwertlilien dürften in wenigen Wochen zur Blütezeit ein echter Hingucker sein.

Schließlich hatte ich den Wald fast durchquert und näherte mich dem auf der Karte entdeckten Gewässer von der Rückseite. Auch hier war Bruchwald vorzufinden, der dieses Mal um sehr viele Sumpfschwertlilien reicher war. Definitiv eine Stelle, die ich bei freundlichem Wetter kurz nach Sonnenaufgang zur Blütezeit gerne wieder besuche.

Nachdem ich den Wald verlassen hatte, beging ich das Gewässer und suchte nach ersten Kompositionen, Motiven und Details.

Der Ort ist für Sonnenaufgänge zwischen Mai und Oktober hervorragend geeignet, da er durch das Wasser die Chancen auf Nebel steigert und einige mögliche Kompositionen bietet. Außerdem ist der See durch den Wald auf der einen und einen dichten Knick auf der anderen Seite vor Wind geschützt. Dies ist der Nebelbildung zuträglich heißt aber auch, dass das Wasser unter guten Bedingungen spiegelglatt ist. Der recht hohe Wald blockiert zwar den direkten Sonnenaufgang, nicht jedoch den Himmel, der potenziell im schönsten Morgenrot erstrahlen könnte. Ist tatsächlich Nebel vorhanden, wird der sich erst auflösen, wenn die ersten Sonnenstrahlen über den Waldrand klettern und dabei als schöne Strahlen sichtbar werden. Ein Bonus sind die Wasservögel und vielen Frösche die ich vor Ort gesehen und gehört habe.

Ich hoffe dieser kleine Ausflug war für euch interessant oder gar hilfreich. Im nächsten Teil der Reihe wird sich voraussichtlich alles um die Suche nach neuen Locations und Motiven drehen.

3 Antworten auf „Der Weg zum Bild 1: Locationscouting“

    1. Das ist die Schwierigkeit! Dafür gibt es leider kein Patentrezept. Man kann nur versuchen es so weit wie möglich zu verbreiten und muss dabei Glück haben.

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