Halbzeit! Die Saison für leuchtende Nachtwolken ist jetzt etwa zur Hälfte um und ich habe mir die eine oder andere Nacht um die Ohren geschlagen und sie fotografiert und mindestens ebenso häufig immer wieder dieselben Fragen zu hören bekommen: Was ist das? Was sind NLCs? Wo sieht man das? Wann sieht man das? Gibt es heute welche? Alles fragen die ich hier in einfacher Form klären und für Kollegen festhalten möchte. Gleichzeitig nutze ich die Gelegenheit, um eine kleine Halbzeitbilanz zur aktuell laufenden NLCs-Saison zu ziehen und die Ergebnisse zu präsentieren und meine Erfahrungen weiterzugeben. Eine kleine Anmerkung noch bevor es losgeht: Ich bin generell eher weniger an kleinlichem herumreiten auf Technik interessiert. Das Foto bekommt das, was es braucht. Grade bei der Nachtfotografie von NLCs sind die technischen Daten jedoch durchaus von Interesse, weil sie mitunter stark variieren. Darum möchte ich sie in diesem Artikel für jedes Bild mit angeben.
Die folgenden Erklärungen sind grob vereinfacht und für das grundsätzliche Verständnis des Phänomens und die Praxis als Fotograf*in gedacht.
Was sind NLCs und wann kann man sie beobachten?
In einer sehr hohen Schicht der Erdatmosphäre, der sogenannten Mesopause, die wiederum die obere Grenze der Mesosphäre ist, in 80 bis 90 Kilometern Höhe wird das absolute Temperaturminimum der Atmosphäre erreicht. Durch Turbulenzen infolge von Temperaturschwankungen der Stratos- und Mesosphäre und mutmaßlich durch verglühende Meteore wird Material in die Mesopause eingetragen, dass bei den extrem niedrigen Temperaturen feine Eiskristalle bildet. Sind Netze solcher Eiskristalle vorhanden kann es im Zeitraum rund um die Sommersonnenwende zu Sichtungen von leuchtenden Nachtwolken kommen. Da wir Menschen zu Faulheit neigen oder – um es positiver auszudrücken – sehr effektiv sind, hat sich auch im deutschen Sprachraum der Begriff NLCs als Abkürzung der englischen Bezeichnung Noctilucent Clouds etabliert.
Die Saison für leuchtende Nachtwolken beginnt irgendwann gegen Ende Mai und endet ungefähr Mitte August. Wenn die Sonne nach Sonnenuntergang oder vor Sonnenaufgang vom Beobachtungspunkt aus in nördlicher Richtung zwischen 6° und 16° unter dem Horizont steht können diese Eiskristalle als leuchtende Nachtwolken sichtbar werden. Da sie sich in so großer Höhe befinden (circa 80–90 km) übersteigen sie normale Wolken (circa bis max. 15 Km) bei weitem und werden von der unter dem Horizont stehenden Sonne angestrahlt und als meist weißliche bis perlmuttfarbene und manchmal auch leicht gelbliche Gebilde sichtbar. Die Gradangabe des Sonnenstands ist für uns Fotografierende nun eine sehr abstrakte Angabe, mit der wir wenig anfangen können. Als Faustregel lässt sich der Beobachtungszeitraum praktisch auf den besser zu fassenden Bereich zwischen einer Stunde nach Sonnenuntergang und einer Stunde vor Sonnenaufgang eingrenzen. Je nachdem wie bestimmte Höhenwinde stehen und wie weit die Ausdehnung der Eiskristalle ausfällt sind die NLCs eher früher oder eher später und mit unterschiedlicher südlicher Ausdehnung zu sehen. Bei günstigen Bedingungen und früher Sichtung kann die Ost-West-Ausdehnung sehr beachtlich sein und bis zu 180° in nördlicher Ausrichtung betragen und bis weit in den Zenit reichen. In diesen Fällen sind Sichtungen bis weit in den Süden möglich. Unter Normalbedingungen stehen die Chancen schlechter je weiter man sich im Süden befindet. Im Norden Deutschlands, etwa in Schleswig-Holstein oder Mecklenburg-Vorpommern, sind leuchtende Nachtwolken jedoch meist recht gut zu beobachten so fern in unseren Breiten denn welche vorhanden sind. Die Helligkeit der NLCs kann jedoch stark variieren und reicht von rein fotografisch nachweisbar bis zu etwa der Helligkeit des Vollmondes. Meteorologisch und physikalisch gibt es sicherlich noch deutlich mehr zu sagen, aber für uns als Fotografen soll diese Erklärung völlig ausreichend sein.
Vorhersage von NLCs
Da man sich nicht den ganzen Sommer lang jede Nacht rein auf Verdacht um die Ohren schlagen kann, wäre es schon schön leuchtende Nachtwolken vorhersehen zu können, nicht wahr? Zum Glück gibt es ein paar Tools, die man als Fotograf*in zur Hand nehmen kann, um festzustellen, ob es sich lohnt wachzubleiben.
OSWIN
Das wichtigste Tool ist das OSWIN-VHF-Radar mit dem das Leibnitz-Institut für Atmosphärenphysik die Mesosphäre überwacht. Dieses Radar misst nicht etwa direkt von den Eiskristallen zurückgeworfene Echos, sondern die Bewegung von Ladungsträgern in Form freier Elektronen, die sich an die Eiskristalle anlagern. Freie Elektronen treten in der Mesopause jedoch nur auf, wenn Luftmoleküle unter Sonneneinwirkung ionisiert werden. Das bedeutet, dass die Echos nur Auftreten, wenn Eiskristalle vorhanden sind und wenn die Sonne scheint. Die Echos treten also nur zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang auf. Die aktuellen Messungen macht das Institut zu unserem großen Vorteil öffentlich und liefert uns so den einzigen kurzfristigen Indikator für NLCs. Wie das Ganze auf der Website des IAP-Kühlungsborn aussieht, könnt ihr im Bild links einmal sehen. Das Wissen, wo es diese Echtzeitgrafik gibt ist bereits die halbe Miete. Nun geht es daran daraus einen Nutzen zu ziehen und die Grafik zu interpretieren. Das ist zum Glück um einiges Einfacher als die komplizierte Erklärung des Radars weiter oben vermuten lässt.
Werden keine Echos gemessen ist die Aufzeichnung im Bild einfach nur blau, wie im Beispielbild links. Die zwei spannendsten Kenngrößen für Fotografierende sind der Zeitstrahl auf der x-Achse, also die Zeit wann Echos aufgetreten sind, und die Farbskala an der rechten Seite, welche die Stärke der Echos farblich kodiert. Folgend ein Beispiel eines sehr langen und starken Echos vom 16.06.2020.
Pauschal kann man ein paar grobe Faustregeln festhalten:
• „je mehr auf dem Radar abgeht“, desto besser stehen die Chancen auf leuchtende Nachtwolken.
• Bei frühen Echos (also etwa am Vormittag) besteht die Chance, dass die Eiswolken sich vor der Dämmerung, also der relevanten Zeit für NLCs, auflösen oder zu weit absinken.
• Spätere Echos zum Sonnenuntergang hin sind vielversprechender, da die Wahrscheinlichkeit für ein Auflösen oder Absinken der Eiskristalle durch den kürzeren zeitlichen Abstand zum Beobachtungszeitpunkt abnimmt.
• Die Echos sagen nicht zwingend etwas über die optische Qualität der Nachtwolken aus. Auch nach schwachen Echos sind starke Displays möglich wenn auch nicht ganz so wahrscheinlich.
• NLCs sind nicht unbedingt immer mit bloßem Auge zu erkennen. Manchmal sind sie nur im fotografischen Spektrum schwach zu erkennen.
• Die Messungen geben keinen Aufschluss über die Sichtverhältnisse oder ob tausende Kilometer nördlich genug Sonnenlicht durch die Erdatmosphäre dringt, um die Eiskristalle zum Leuchten zu bringen.
• NLCs können mit Pech ein sehr kurzes Vergnügen sein. Mit viel Glück können sie aber auch die ganze Nacht anhalten – seid also im Zweifel geduldig. Manchmal werden sie schwächer und zum Morgen hin wieder stärker.
Neben dem OSWIN-Radar spielt das Wetter eine entscheidende Rolle. Ist der Himmel wolkenverhangen werde ich auch von hellsten NLCs nichts zu sehen kriegen. Für gewöhnlich genügt der einfache Blick auf den Wetterbericht eurer Wahl. Da ihr die NLCs jedoch nördlich von eurer Position beobachten wollt empfiehlt sich ein zusätzlicher Blick aufs Wolkenradar oder den Wetterbericht eines Ortes ein paar Kilometer nördlich von eurem Beobachtungspunkt. Ist der Himmel in beiden Fällen klar steht eventuell sichtbaren Displays leuchtender Nachtwolken nichts im Wege. Als kleinen Tipp möchte ich euch jedoch noch zwei Wetterwebsites ans Herz legen: Die „Astronomical Seeing“ Vorhersage von Meteoblue (nicht in der App-Version enthalten, sondern nur in der Browservariante!) und die Kompaktwetteranzeige von Kachelmannwetter. Beide zeigen euch in Tabellen oder Diagrammen die Höhenverteilung von Wolken an, falls ihr stärker zwischen Wolkenhöhen differenzieren müsst.
Das letzte nützliche Tool sind Webcams, die ihr gewissermaßen als Frühwarnsystem bequem vom Sofa aus begutachten könnt. Die zwei Webcams die ich euch ans Herz legen möchte zeichnen alle 10 Minuten ein neues Foto auf und sind perfekt als Entscheidungshilfe geeignet ob ihr losziehen solltet oder nicht. Besonders interessant sind die Webcam in Flensburg und diese Webcam vom IAP in Kühlungsborn.
NLCs fotografieren
Nun wisst ihr das wichtigste worauf ihr bei der Vorhersage von NLCs achten müsst. Im nächsten Schritt geht es nun um die fotografische Praxis.
Die Wahl von Standort und Motiv
In richtig guten Nächten sind leuchtende Nachtwolken wirklich ein beeindruckendes Naturschauspiel. Speziell im Zusammenspiel mit der sehr roten Mitternachtsdämmerung bei absolut freiem Horizont kreieren sie einzigartige Lichtstimmungen. Doch darf man sich nicht verleiten lassen einfach nur der „schönen Wolken“ wegen auf den Auslöser zu drücken. Die fantastische Atmosphäre vor Ort auf den Sensor zu bannen gelingt selbst in den besten Fällen nur so halb. Denn eines darf man bei Fotos niemals vergessen: Der Betrachtende ist ebenso Teil des Bildes wie der Fotograf oder die Fotografin. Nur bringt dieser nicht dieselbe Erfahrung mit zum Foto. Er oder sie war nicht vor Ort, sondern kennt nur das Bild. Darum ist es unabdingbar, dass die Basics der Fotografie trotz eines Himmels, der wie man meinen könnte, für sich selbst stehen kann, beachtet werden. Das Bild muss als Foto funktionieren und bedarf darum unbedingt eines Bildaufbaus und/oder Motivs. Für mich ist die Suche nach einem NLCs geeigneten Motiv der zeitaufwendigste und schwierigste Teil, denn ich muss möglichst einen freien Blick nach Norden und gleichzeitig Gestaltungselemente für den Vorder- oder Mittelgrund haben. Hierbei kann grundsätzlich alles funktionieren was gefällt. Es ist vor allem ratsam infrage kommende Orte bereits bei Tageslicht zu erkunden, um Kompositionen herauszuarbeiten, die man im Dunkeln, wenn es soweit ist vielleicht nicht finden würde. Sei es wegen Aufregung oder wegen Zeitdrucks. Auf Führungslinien, goldenen Schnitt, Drittelregel und Co möchte ich an dieser Stelle nicht näher eingehen, das kennt ihr alle. Mein Tipp wäre nach Motiven am Wasser zu suchen, denn zum einen ist Wasser stets fotogen zum anderen reflektiert es Licht. In der Nachtfotografie ist Licht Mangelware und ihr werdet für jedes bisschen an zusätzlicher Beleuchtung Dankbar sein. Und mein zweiter Tipp ist es Landschaft nicht immer nur in Weit- oder gar Ultraweitwinkel zu denken. Klammert durch einen engeren Bildausschnitt störende Elemente lieber aus, statt den gesamten Himmel aufs Bild zu quetschen. NLCs sind meistens ohnehin nur im Bereich oberhalb des Horizonts zu sehen. Meine liebste NLC Serie, ist größtenteils jenseits des Weitwinkelbereichs entstanden.
Hit and Miss – Geduld ist gefragt
Selbst wenn man das tollste Motiv ausgesucht hat kann es noch ein paar Faktoren geben, die uns Fotografierenden die Tour verhageln. So ist es mir zum Beispiel das eine oder andere Mal passiert, dass es zwar NLCs zu sehen gab, sie jedoch sehr schwach und selbst auf bearbeiteten Fotos kaum zu sehen waren.
Ein anderes Mal hatte ich mir einen wunderschönen Steg mit Bank an einem idyllischen See ausgesucht doch unterschätzt wie hoch die Bäume am nördlichen Seeufer dann doch waren. Noch dazu war es fernab jeder Straßenbeleuchtung oder bewohnter Häuser bei Neumond stockdunkel. Da ist dann auch mit einer mehrminütigen Belichtung des Vordergrunds kaum etwas zu machen.
An ein oder zwei Abenden sah alles vielversprechend aus, doch entweder zog es am Ort des Fotografierens trotz guten Wetterberichts zu oder die leuchtenden Nachtwolken lösten sich bereits nach einer halben Stunde schon wieder auf und mehr als ein „Beweisfoto“ sprangt nicht heraus.
Wie fotografiere ich NLCs am besten?
Die Frage wie man leuchtende Nachtwolken fotografiert lässt sich nicht generell beantworten. Ich habe auch wenig Spaß am herumreiten auf technischen Details. Aber ich kann euch ein paar Tipps oder Denkanstöße mit auf den Weg geben. Je nachdem mit welcher Kamera ihr fotografiert habt ihn in Sachen Bildrauschen und dem Aufhellen dunkler Bereiche in der Bildbearbeitung etwas mehr oder etwas weniger Spielraum. Mit meiner guten alten 5D Mark II gehe ich etwa ungern über ISO 400 und habe meine Schmerzgrenze bei ISO 800 und das Aufhellen wirklich dunkler Bereiche kann ich bei meinem Anspruch an Bildqualität völlig knicken. An dunklen Orten wie dem oben erwähnten idyllischen See zum Beispiel hat man zwar immer die Möglichkeit separate Belichtungen für Himmel und Vordergrund zu machen – was ich grundsätzlich für NLCs absolut empfehle – aber auch das kann in Extremfällen an Grenzen stoßen. Wollt ihr ein solches Motiv dennoch unbedingt fotografieren empfehle ich euch eine Vollmondnacht abzupassen. So ein bisschen Licht wirkt Wunder.
Aber es gibt Hoffnung! NLCs bewegen sich zwar, wenn man sie über einen gewissen Zeitraum beobachtet, doch geschieht dies recht langsam. Ich für meinen Teil bin mit der Schärfe der NLCs bei Belichtungen bis zu 30 Sekunden absolut zufrieden. Bei Belichtungszeiten jenseits der 30 Sekunden, bei sehr hochauflösenden Sensoren, bei bewegten Bildelementen oder bei hohen Brennweiten ist es jedoch ratsam die Belichtungszeit so kurz wie möglich zu halten. Da es sich bei meinen NLC-Fotos im Prinzip um normale Landschaftsfotos handelt und es meinem Gusto entspricht möchte ich eine möglichst hohe Tiefenschärfe für meine Fotos erreichen. Dafür muss ich jedoch abblenden – doch dies bedeutet weniger Licht aber generell höhere Bildschärfe. Mit was für Blenden ihr arbeiten mögt hängt von eurer Technik ab. Habt ihr gute Objektive für Astrofotografie und wollt weitwinklig arbeiten könnt ihr zum Beispiel recht weit aufblenden und so im Gegenzug die Belichtungszeit verkürzen, ohne die Empfindlichkeit allzu hochschrauben zu müssen. Für mein 24-105mm Immerdrauf beispielsweise habe ich für mich als besten Kompromiss und Sweet-Spot f/9 entdeckt. Darunter leidet die Bildschärfe teils erheblich und darüber komme ich in Regionen, in denen ich ISO und Belichtungszeit über die Schmerzgrenze strapazieren müsste. Fotografiert ihr jedoch im städtischen Umfeld, wie zum Beispiel hier an der Kieler Förde, ist oft sogar nachts noch so viel Licht vorhanden, dass ihr bis f/11 bei ISO 100 abblenden könnt.
Wenn alles passt
Bevor ich die Schlussworte an euch richte, möchte ich euch das Ergebnis einer NLC-Nacht zeigen, in der einfach alles passte: Zeit, Ort, Motiv und die leuchtenden Nachtwolken. Für solche Fotos und vor allem auch das mit verbundenem Erlebnis treibe ich mich gerne nachts auf Straßen, an Stränden, auf Wiesen und Feldern herum.
Ich hoffe dieser Artikel ist für euch hilfreich, interessant und vielleicht sogar ein wenig unterhaltsam gewesen. In diesem Artikel stecken viel Mühe und Arbeit. Darum würde ich mich über eine hohe Reichweite freuen. Also teilt was das Zeug hält, wenn euch der Beitrag gefallen hat.